Interview › Interview mit Netlabel aaahh records
Interview › Interview mit Netlabel aaahh records
Christian Grasse absorbiert die Medien scheinbar mit jeder Pore. Der 27-jährige Student beschäftigt sich seit einigen Jahren mit dem Konzept der Creative Commons und im Besonderen mit freier Musik aus dem Internet. Neben dem fast schon obligatorischen Blog namens Metawelle, präsentiert er gleich zwei Radiosendungen: FreeQuency auf Byte.fm und Popmoderne Free Music Edition im Campusradio Bielefeld.
Da lag es auf der Hand einen weiteren Schritt zu gehen und ein eigenes Netlabel zu gründen. Im Mai 2008 ging aaahh-records online. Mittlerweile ist die anfängliche Crew von drei auf sieben Enthusiasten angewachsen. Die heißen Henning, Jochen, Judith, Nathaly, Patrick, Anna und Christian. Und ganz im Sinne der digitalen Bohème und verteilen die sich über ganz Deutschland. So funkt aaahh records in drei Sprachen aus Bielefeld, Berlin, Leipzig und Köln in die Welt. Genügend Dinge, um neugierig zu werden!
Moritz »mo.« Sauer hat sich mit Christian Grasse unterhalten…
Muss man »heutzutage« Musik verschenken, um neue Hörer zu finden oder ist das nur der einfachste Weg Musik zu veröffentlichen ohne dass Ihr Euch den Buckel krumm macht?
Den Buckel machen wir uns auch so krumm. Die Arbeit, die wir leisten, unterscheidet sich kaum von der Arbeit eines “echten” Labels. Wir sind auf Künstlersuche, hören und besprechen Demos, die uns zugesandt werden, geben Feedback, führen Gespräche mit potenziellen aaahh-Künstlern, schreiben Presse- und Release-Infos (sogar dreisprachig), machen intensive Promo (Online, Radio/TV, Print) und betreuen unsere Künstler persönlich und so gut es uns möglich ist. Nur um die Aufnahmen und Produktion einer Veröffentlichung kümmern wir uns (noch) nicht.
Das Verschenken der Musik ist in erster Linie natürlich sehr hilfreich um Aufmerksamkeit zu generieren. Gleichzeitig setzen viele Hörer leider das Verschenken mit einer geringen Wertschätzung gleich. Nach dem Motto: “Was umsonst ist kann nicht gut sein.” Dieses Image wollen wir aufbrechen. Wir versuchen die Musik so gut wie möglich zu präsentieren und bieten optional physische Tonträger an, die man kaufen kann. Darüber hinaus geht es uns und unseren Künstlern bei dem Punkt der “freien” Musik um mehr als den Gratis-Faktor. Unsere Musik kann verändert, erweitert, geremixt und verteilt werden. Die Musik gibt dem Hörer die Möglichkeit mehr als nur ein Konsument zu sein. Ein Remix und das öffentliche Kopieren der Musik erkennen wir als Wertschätzung an, die genauso wichtig ist wie der Verkauf eines Albums. Das ist, so glauben wir, vor allem für junge Künstler wichtig.
Was macht deiner Meinung nach ein modernes Musik Label aus? Und warum ist aaahh records eine bessere Alternative als andere Indie Musik Labels?
Ich glaube dass es wichtig ist, die veränderten Rollen anzuerkennen. Die Dreiteilung von Urheber, Verwerter und Rezipient ist im Internet hinfällig und das sollte man sich zu Nutzen machen. Musik und Kunst generell ist nichts statisches. Sie verändert sich so, wie sich alles verändert. Warum also nicht jedem die Freiheit geben ein Originalmusikstück zu verändern? Das Original und der Urheber muss natürlich gewürdigt werden, z.B. im Sinne einer CC-Lizenz. Dadurch, dass man Hörer einlädt und am Verteilen und dem Prozess der Musik teilhaben lässt, ist es möglich eine Nähe herzustellen, die sich auch monetär auszahlen kann. Je enger die Bindung zum Hörer/Fan/etc. ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Leute zu Konzerten kommen, freiwillig Geld spenden oder Merchandize kaufen.
Ich glaube das sind Dinge, die ein Netlabel und diesem Fall vielleicht aaahh-records besser kann als “normale” Labels. Gleichzeitig sei hier jedoch darauf hingewiesen, dass wir kein Geld mit unserer Arbeit verdienen. Wir verstehen das als unser Hobby und haben einfach Spaß daran gute Musik zu verbreiten.
Wenn man sich aaahh records genauer anschaut, entdeckt man, dass Ihr äußerst internet-affin seid und zahlreiche Kanäle wie Euer Weblog, Twitter, RSS, Soundcloud, Newsletter und ähnliches bedient. Welche Kanäle benutzt Ihr noch und gibt es einen Trick diese gezielt zu bedienen? Wie geht Ihr dabei vor?
Außerdem sind wir noch bei den typischen Verdächtigen, ohne die es nicht geht. Das wären Myspace, Youtube und Last.fm aber auch Archive.org, ccMixter, Jamendo und Bandcamp. Basis ist dabei unsere eigene Seite, sie ist quasi unser virtuelles Headquarter. Dort laufen alle Fäden zusammen. Wir benutzen WordPress als CMS (Content Management System). Dieses Open Source CMS bietet unzählige hilfreiche Addons, die es ermöglichen verschiedene externe Dienste zu “bemustern”, bzw. diese zu integrieren.
Allerdings ist neben der schönen Technik und deren tollen Möglichkeiten immer noch das gute alte Klinkenputzen angesagt. Unsere Promomails, die wir zur digitalen Bemusterung verschicken, kommen allesamt aus handverlesenen Kontakten. Darunter sind internationale Blogs, Radio- und TV-Stationen, Magazine und sonstige mögliche Multiplikatoren und Opinionleader. Da wir zu siebt sind, ist jeder für einige Länder verantwortlich, die er/sie eigenständig bemustert und im Fall von Feedback Ansprechpartner ist.
Twitter und Gedöns sind ja unterhaltsame Services… Aber bringen diese Kanäle etwas für die Künstler und Euch? Oder ist das nur technischer Schnickschnak für Nerds und Geeks mit dem man gemütlich seine Zeit verschwendet?
Innerhalb weniger Wochen folgen uns bei Twitter mittlerweile mehrere Hundert Menschen. Diese haben sich aktiv dazu entschieden uns zu “folgen”. Das bedeutet also, dass ein gewisses Interesse daran besteht zu wissen, was bei uns so passiert. Das allein zeigt schon, dass solche Kanäle etwas bringen können. Außerdem helfen solche kleinen Kanäle wie Twitter dabei die vorher beschriebene Nähe aufzubauen, die in der anonymen Welt des Internets für ein Label und somit auch für unsere Künstler sehr sehr wichtig ist. All das hilft dabei persönliche Beziehungen zu Hörern aufzubauen. Und letztendlich wirken sich all diese Dinge positiv auf unseren Traffic und die Downloadzahlen aus. Seit Mai 2008 messen wir auf aaahh-records.net etwa 90.000 Visits und wir haben weit über 30.000 Downloads unserer bisher veröffentlichten Alben generiert. Das ist für ein so junges Label wie das unsere schon sehr vorzeigbar.
Wie findet Ihr neue Musiker und überzeugt Sie von Eurer Idee?
Einerseits bekommen wir immer häufiger Anfragen von Bands, die im Netz auf uns gestoßen sind und das, was wir machen gut finden. Andererseits machen wir uns auch persönlich auf die Suche nach neuen Bands. Das funktioniert hauptsächlich über Myspace. Bei jungen Künstlern ist kaum Überzeugungsarbeit nötig. Erstens freuen sich Musiker über Aufmerksamkeit und zweitens ist der Weg von Myspace, wo jeder die Musik auch so schon hören kann, zu einer Veröffentlichung bei einem Netlabel, wie das unsere nicht sehr weit.
Wir verwerten ja lediglich die nicht-kommerziellen Rechte. Die kommerziellen Rechte bleiben (je nach der gewählten Lizenz) bei den Künstlern. Die mögliche Aufmerksamkeit, die wir einem jungen Künstler bescheren können, ist ein gutes Argument um ihn zu überzeugen. Bei längeren Gesprächen stellt sich außerdem heraus, dass Viele grundsätzlich genau das im Kopf hatten, was ihnen eine Creative Commons Lizenz und eine Veröffentlichung bei uns bieten kann.
Einer Eurer bisher größten Erfolge ist die junge Dame Julia Kotowski aka Entertainment for the Braindead! Ihr Album “Hydrophobia” habt Ihr letztes Jahr gemeinsam mit dem Netlabel Aerotone herausgebracht? Ein Album, das auf zwei Labeln erscheint, ist doch erst einmal ein wenig merkwürdig! Haben sich beide Labels um Julia gekloppt und das Resultat war ein Remis und Ihr habt gemeinsam das Album an die Öffentlichkeit gelassen?
Nein! :) Niemand hat sich gekloppt. Ganz im Gegenteil. Als mir Julias Debut “Hypersomnia” in die Hände fiel, gab es aaahh-records noch gar nicht. In der Zeit lernte ich Julia Kotowski aka Entertainment for the Braindead durch viele Emails ein wenig kennen und erzählte ihr was ich vorhabe. Ein eigenes Netlabel zu gründen usw.
Als wir dann im Mai starteten und unser Debutrelease draußen war, kam ich auf sie zurück. Als sie mir die ersten Songs der “Hydrophobia” zuschickte war mir klar, dass das etwas ganz besonderes ist. Ich hab also nachgedacht wie man diese talentierte Künstlerin am besten unterstützen könnte. Da wir zu dem Zeitpunkt noch sehr unbekannt im Netz waren, hatte ich ein wenig Angst, dass das Album “untergehen” könnte.
Deshalb habe ich nach einem Netlabel gesucht, das unserem musikalischen Stil entspricht und schon etabliert ist. Daraufhin bin ich sehr schnell auf Jan Sturm und sein Netlabel Aerotone gestoßen. Als ich ihm eine Kooperation vorschlug, war er sofort dabei, denn auch er war sehr begeistert von EFTB und hatte Julia sogar schon angefragt, ob sie nicht bei aerotone veröffentlichen wolle.
Ich habe also alle drei Parteien zusammengebracht und das war eine sehr gute Entscheidung. Denn so hat Julia die Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdient und wir haben als sehr junges Label bereits bei unserer zweiten Veröffentlichung eine Kooperation mit dem Label geschafft, das wir als großes Vorbild sehen. Damit waren alle sehr glücklich. Das ist ja das schöne bei der Struktur von Netlabels. Da kann man ohne kommerziellen Druck schnell und unkompliziert handeln.
Als Musikliebhaber und Kenner der Creative Commons Musikszene? Welche Musikveröffentlichungen legst Du denn deinen Hörern in deiner Sendung “FreeQuency” auf Byte.fm und in Deinem Metawelle-Blog am wärmstens ans Herz? Nenn uns mal fünf freie Musikalben, die man unbedingt (an)hören sollte!
Puh, mit sochen Dingen tue ich mich schwer. Denn diese Top-5 würde jede Woche anders aussehen, wie man bei metawelle sehen kann. Aber die hier gehen immer gut:
Vielen lieben Dank für das tolle Interview!
Label: www.aaahh-records.net