Interview › Netaudio Künstler
Interview › Netaudio Künstler
Was bitteschön ist denn »Neo-Postrock«? Der neue »Zwitter-Rock« nachdem Rock?
Weiß auch nicht, wer sich diesen bescheuerten Begriff ausgedacht hat. Irgendso ein Grüner-Würfel-Promo-Fuzzi. Aber eigentlich mag ich ja Post-Rock, finde die Bezeichnung gar nicht so schlimm und denke auch nicht, wie wahrscheinlich viele Musikjournalisten, dass das Genre tot ist. Es ist wohl lediglich der Versuch des Einsortierens in eine Schublade.
Wie dem auch sei: Seine eigene Musik als Musiker in ein Genre einzuordnen ist, glaube ich, sehr schwierig. Könnte aber sein, dass so ein Begriff wie der oben genannte oder “Indietronic” meiner Musik schon nahe kommt. Wobei doch echt ganz schön viele Gitarren- und Bass-Spuren drauf sind.
Die Instrumente und Kompositionen Deines Albums »I had to let God be in Control of ALL Things« stammen allesamt von Dir. Bist Du Autist, der alles lieber selbst macht oder magst Du andere Menschen nicht? Warum hast Du alles selbst produziert?
Ich fürchte da habe ich nur die Standard-Antwort parat, die schon viele vor mir gebracht haben: Ich fand den Prozess des Musikmachens im Bandgefüge zum Schluss echt schwierig. Tatsächlich könnte meine Musik wohl von einer Band gut gespielt werden. Beim Track »Bracers of Chaos« hätte der Gitarrist dann allerdings das Problem, dass er über weite Strecken bloß zwei Akkorde spielen müsste - was würde das wohl für die Stimmung in der Band bzw. in Bezug auf seine (oder ihre) Lust auf das Spielen dieses bestimmten Songs bedeuten? Das muss zwar nicht so sein und es gibt auch viele Ausnahmen, z.B. Musiker wie Steve Shelley von Sonic Youth oder Bands wie To Rococo Rot etc. - aber dennoch: Für mich hat das nicht mehr so funktioniert.
Will sagen: Dieses ewige »Alle müssen sich wohlfühlen«, »Jeder hat seinen Part« etc. etc. - und das schwingt ja in vielen Proberäumen mit - ist auf die Dauer doch recht mühsam. Das alleine zu machen – über einen langen Zeitraum übrigens – war einfach total entspannt und hat mich letztlich dazu gebracht, mich auch mal mit dem Gitarrespielen etwas mehr auseinanderzusetzen und meine Wurstfinger in den Griff zu bekommen.
Wie kann man sich den Entstehungsprozess Deiner Songs vorstellen? Wie hast Du die zahlreichen Sounds und Instrumente miteinander verbunden? Wie komponiert Marco Trovatello Songs?
Nach heutigen Maßstäben eher konventionell: Ein E-Bassgitarre, eine Akustikgitarre, eine E-Gitarre, meine geliebte Jaguar Bass VI Custom, ein paar analoge Schätzchen und ein Computer mit Logic bilden das Grundgerüst. Wie schon im Promo-Text ganz schön beschrieben: An manchen Sachen habe ich ziemlich lang rumgefrickelt, andere wiederum fast in einem Rutsch eingespielt.
Auf Deinem Panel »Twittern aus dem All für die digitale Öffentlichkeitsarbeit« auf der republica 2012 durfte man Astronauten, die twittern kennenlernen. Beeinflusst Deine Arbeit für das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt Deine Musik? Hat das Album kosmische Strahlung abgekommen?
Eigentlich nicht. Ich mag meinen Job ganz gerne, aber eigentlich ist es eher das Musikmachen an sich bzw. das Zurückziehen in mein kleines Kellerstudio, dass mich in andere Sphären beamt. Und außerdem finde ich, dass Musik und Raumfahrt ein schwieriges Thema ist. Da die passende Musik zum Bild zu finden gelingt eher selten.
Wer will schon noch abgenudelte Klassik-, Pop-, oder Rock- Hits zu Raumfahrtbildern hören? Dennoch gibt es ein paar schöne Beispiele, die ich mal hier und hier verbloggt habe. Wenn jemand so etwas mit meiner Musik vorhat: Nur zu, viel Footage steht unter offenen Lizenzen (NASA bspw. Public-Domain oder DLR unter CC-BY) und mein Album unter aufgeweichter CC-BY-NC. Ich selbe würde das aber eher nicht in Angriff nehmen.
Auf der Website des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt setzt Ihr für eigene Inhalte Creative Commons-Lizenzen ein. Auch Dein Album veröffenlichst Du unter einer Lizenz, die das Kopieren, Verbreiten und teilweise sogar modifizieren der Musik erlaubt. Was hat Musik mit Lizenzen zu tun und warum liegt Dir die Idee der Creative Commons (CC) so sehr am Herzen?
Was Musik mit Lizenzen, Urheber- und Nutzungsrechten zu tun hat, kann man in Blogs (auch in meinem), sozialen Netzwerken und Medien derzeit ja intensiv verfolgen - wobei ich mich jetzt nicht zu den unterirdischen Kampagnen einiger, nun ja, Holzmedien äußern will.
Bernd Wilberg und ich haben bereits 2008 als Schmitz & Niebuhr ein Album unter CC-Lizenz auf dem grünen Würfel veröffentlicht. Und an der Bedeutung, die CC-Lizenzen im Laufe der Jahre für mich bekommen haben, sind auch Phlow & Co. nicht unbeteiligt, schließlich habt ihr mit der Cologne Commons für den Musiksektor da aus meiner Sicht Wichtiges geleistet.
Aber zu Deiner Frage: Warum Creative Commons? Ganz einfach: Die Lizenzen sind transparent und auch für Laien verständlich – und wenn’s mal hapert wird nochmal ausführlich nachgelegt. Weiterhin ist die »Vision« von Creative Commons, egal ob für den Bildungs-, Kultur- oder Wissenssektor, mehr als unterstützenswert.
Und auch wenn Leute der Meinung sind, die ganze Urheberrechtsdebatte stecke in einer Sackgasse, so finde ich in Bezug auf Musik beispielsweise das – ich nenne es jetzt einfach mal so – Zoe.Leela/Tim Renner-Modell (siehe hier oder hier) oder die C3S-Initiative sehr unterstützenswert. Zoe macht zwar ziemlich Front gegen die GEMA, aber offen gesagt finde ich es wirklich wichtig, dass gerade Non-Mainstream-Musiker sich mal klar äußern und hier und da auch mal zum Aufwachen Tritte in den Allerwertesten verteilen. Ich bin da ganz bei ihr, auch wenn wir mit dem kleinen grünen Würfel und ich mit meiner Musik überhaupt nicht in dieser Liga spiele.
Zu meinen Job: Das war einfach eine logische Konsequenz. Das DLR ist überwiegend und das deutsche Raumfahrtprogramm komplett über öffentliche Gelder finanziert. Da lag es auf der Hand, hier die CC-BY anzuwenden. Mehr dazu habe ich hier und hier gesagt.
Du leitest die »Abteilung Crossmedia in der Hauptabteilung Kommunikation des DLR. In dieser Funktion konzipierst und verantwortest Du die Onlinekommunikation des DLR«. Planst Du auch Crossmedia-Aktionen in eigener Sache, also für Dein Album? Was willst Du dagegen tun, dass Dein Album nicht im – mittlerweile – Ozean der freien Musik untergeht ohne gehört zu werden?
Erstmal leistest Du mit Phlow ja hier schon mal einen sehr netten Beitrag zur Multiplikation – vielen Dank dafür. Weiterhin beschäftige ich mich, wie Du ja schon sagst, im Rahmen meines Jobs den lieben langen Tag mit Online- und Social-Media-Kommunikation, von daher kenne ich mich mit digitaler Öffentlichkeitsarbeit ein bisschen aus, bin selber nicht so schlecht digital-sozial vernetzt und habe vor einiger Zeit auch mal die entsprechenden Kanäle (Facebook, Twitter, Soundcloud) für den kleinen grünen Würfel aufgesetzt. Nicht zuletzt ist Labelchef Stoffel nicht nur wie ich ein Verfechter von DIY und neuen Rechts- und Vertriebsmodellen, sondern auch bestens vernetzt.
Fazit: Nach nur zwei Tagen, die das Album jetzt draußen ist und wir mit der Netradio-, Blog- und anderer Promo nicht mal angefangen haben, kam über die Sozialen Netzwerke, Kommentare und E-Mail schon viel positives Feedback und sogar einige Bestellungen der CD-R. Und das ist wirklich genau das, was ich mir gewünscht habe: Das Leuten die Musik gefällt, sie sich weiterverbeitet und dadurch vielleicht neue Kooperationen, Projekte, oder ähnliches ergeben. Da kann mir als kleiner Musiker die GEMA gestohlen bleiben. Netaudio ist lange nicht abgeschrieben!
Woher kommt der Titel »I had to let God be in Control of ALL Things« Deines Albums? Schwingt da Resignation, Gläubigkeit oder Hoffnung mit?
Tja mo., wenn ich das jetzt verraten würde … Mystik oder Mystizismus? Das musst Du und das müssen die Hörerinnen und Hörer selbst herausfinden.
Vielen Dank Marco, für das Interview
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