Interview › Burnstation Projekt
Interview › Burnstation Projekt
Olivier Schulbaum und Ignacio Garcia sind Mitglieder des Künstlerkollektivs Platoniq . Inspiriert von der Funktionsweise jamaikanischer Soundsystems entwickelten sie ein System, das die Brücke zwischen digitaler Kunst und dem täglichen Leben auf der Straße schlägt – die Burnstation. Die Idee hinter der rollbaren Musikstation ist einfach, aber effektiv: Sie bringt Musik aus dem Internet auf die Straße, zu den Menschen, und verschafft ihr so neue Hörer. Wie ein jamaikanisches Soundsystem , das als fahrende Disko die Musik und Partys dorthin transportiert, wo die Leute sind. „In Jamaika spielen DJs ihren eigenen Sound auf den Streetpartys. Das ist ein ganz eigenes Modell, das außerhalb des herkömmlichen Marktes funktioniert “, erklärt Ignacio begeistert. Denn die rollenden Diskotheken bringen nicht nur den Sound auf das Land, sondern transportieren außerdem Musikkultur an Orte, wo Plattenläden schlicht nicht vorhanden sind. Obendrein testen DJs und MCs oft auf solchen Veranstaltungen ihren neuesten Tunes, die bis dato weder in Vinyl gepresst noch im Radio gespielt wurden.
Der große Schiebewagen, auf dem die mobile Kopierstation montiert ist, erfüllt zwei Funktionen: Während ein Musiker auf der einen Seite seinen Sound einspeisen kann, damit dieser über die seitlich ausklappbaren Boxen erklingt, können sich Neugierige auf der anderen Seite durch ein Archiv voller Musik klicken. Das Durchforsten des Archivs funktioniert wie bei einer Jukebox. Aber statt dicke Tasten zu drücken, um Vinylplatten abzuspielen, surft man mit Hilfe eines Joypads durch die Festplatte. In der derzeitigen Version erlaubt die spanische Jukebox gleich drei Hörern gleichzeitig auf separaten Bildschirmen mit Kopfhörern durch die Musik zu stöbern.
Mit dem eigenwilligen Projekt hat das spanische Kollektiv bereits mehrere Preise gewonnen und zahlreiche südamerikanische Länder bereist. „Wir wollen Werkzeuge bauen, um Netzkultur mit Straßenkultur, also dem alltäglichen Leben, zu verbinden“, erläutert Olivier das Ziel des Projektes. „Die Burnstation basiert auf Copyleft und Creative Commons -Musik, die wir auf öffentlichen Plätzen zugänglich machen.“ Ignacio ergänzt: „Die digitale Kultur erlaubt es uns, die Zwischenstationen und Mediatoren loszuwerden. Es ist auch eine Möglichkeit, öffentliche Plätze zu besetzen, um im nächsten Schritt Künstler und Hörer zusammenzubringen.“ Mit Mediatoren meint Ignacio die herkömmlichen Verteiler von kulturellen Gütern, wie zum Beispiel Vertriebe, Plattenläden, Fernsehen und Radio. Die Burnstation-Betreiber fungieren zwar auch als Mittelsmänner, versuchen sich aber aus dem Prozess des Verteilens so weit wie möglich zurückzuziehen. Auf der Straße angelangt, erklären die beiden Aktivisten den Leuten dann, wie die Burnstation funktioniert, was sie bezweckt und wie man sich kostenlos seine eigene CD voller Netlabel-Musik brennen kann.
„Wir benutzen Musik als eine Strategie, um den Gedanken der freien Kultur zu verbreiten. Die Burnstation ist der Versuch, freie Kultur global zu verteilen und damit auch die Idee der Geschenkökonomie bekannt zu machen“, führt Olivier das dahinter liegende Konzept aus. Durch das Schenken wird man Teil eines sozialen Netzwerkes, das irgendwann eine Eigendynamik entwickelt.
Das Kollektiv fühlt sich dabei dem Motto „Think local, act global!„ verpflichtet. Während auf der einen Seite das große virtuelle Archiv der Netlabel-Musik angezapft wird, schafft Platoniq auf der anderen Seite einen lokalen Zugang. Das kann zum Beispiel eine eigens installierte Burnstation auf einem öffentlichen Busbahnhof sein. So wird Musik, die weltweit verstreut auf Servern liegt, einem Publikum zugänglich gemacht, das selbst über keinen Internetzugang verfügt – so bei vielen der in Südamerika installierten Burnstations der Fall.
Auch wenn sämtliche Musik, mit der die Burnstation gefüttert wird, über eine Lizenz verfügt, die das Kopieren erlaubt, stehen Olivier und Ignacio eng mit den beteiligten Netlabels in Kontakt. Jedes Label wurde gefragt, ob es die Idee unterstützten möchte. Als Dankeschön bieten die Jungs ein Mehr an Aufmerksamkeit, das auch den Labels zugute kommt – zum Beispiel durch die Zusatzinformationen, die die Burnstation für jedes Musikstück und Netlabel bereithält. So gelangen die eigentlich virtuellen Label auf die Straße und erreichen neue Hörergruppen.
Dank Ignacio, der selbst Kolumbianer ist, bestehen enge Verbindungen mit Südamerika. Da nicht nur die von der Burnstation verteilte Musik frei ist, sondern auch das Computersystem auf einer Open Source-Software basiert, kann sich theoretisch jeder eine eigene Burnstation zusammenzimmern und installieren. Diese Möglichkeit haben die Geschenkökonomie-Missionare gemeinsam mit Helfern bereits in zahlreichen südamerikanischen Ländern wahrgenommen und vor Ort neue Burnstation-Projekte angeschoben. Nach zwei Jahren existieren mittlerweile mehrere Burnstations in Kolumbien, Venezuela, Mexiko oder Peru. Für ihr Engagement erhielten Platoniq inzwischen auch einige Preise, zum Beispiel auf einem Kunstfestival in Mexiko. Darüber freut sich Olivier noch heute.
„Seit 2004 sind wir mit dem Projekt unterwegs. Jetzt kommt langsam die Zeit, in der wir uns über die nächsten Schritte Gedanken machen müssen“, so Olivier auf die Frage, wohin es nun weitergehen soll. „Es wurden fünfzehn lokale Burnstations installiert und viele Leute haben eine eigene Burnstation realisiert. Wir sind jetzt in einem Stadium, in dem wir die unterschiedlichen Stationen zusammenschließen wollen. Wenn ein Musiker in Buenos Aires Teil des Projektes sein möchte, so soll seine Musik auch auf den anderen Soundsystemen erhältlich sein.“ Wie genau das realisiert werden soll, ist den beiden aber noch unklar.
Sicherlich wird auch hierfür wieder einmal das Internet der Dreh- und Angelpunkt sein. Denn die meisten freien Inhalte findet man immer noch über das World Wide Web – sei es Open Source-Software oder freie Kunst. Da ist es nur konsequent, dass auch die Burnstation selbst als Download zur Verfügung steht. Wie wäre es also mit einer eigenen Burnstation-Jukebox für die Stammkneipe um die Ecke mit aktueller Musik aus Venezuela? Olivier nennt das „Geschenkökonomie“. Klingt gut, finden wir.